Multiple Sklerose

Was ist eine Multiple Sklerose?

Eine Multiple Sklerose, abgekürzt MS, ist eine Autoimmunkrankheit. Bei dieser Gruppe von Erkrankungen bildet das fehlgesteuerte Immunsystem Antikörper gegen körpereigenes Gewebe und greift dieses an. Das Immunsystem kann nicht mehr zwischen körpereigenen und körperfremden Gewebe unterscheiden.

Es gibt noch viele andere Autoimmunerkrankungen. Beispiele (mit ihren Zielorganen) sind die Schuppenflechte (Haut), Typ 1 Diabetes (Bauchspeicheldrüse) oder die rheumatoide Arthritis (Gelenke). Autoimmunerkrankungen kommen gehäuft zusammen vor, d. h. ein MS-Patient hat ein höheres Risiko als andere, an Rheuma zu erkranken.

Zielorgan bei der MS ist das Myelin, die „Schutzschicht“ von Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark. Diese wird angegriffen und zerstört, was zu Funktionsausfällen führt. Nach Abklingen der Entzündung wird die Myelinschicht durch hartes, sklerosiertes Gewebe ersetzt, welches die Nervenimpulse nicht mehr so gut weiterleiten kann. Auch die Nervenfaser selbst kann zerstört werden (axonale Degeneration). Als für den Betroffenen spürbare Folge kann eine dauerhafte Behinderung eintreten.

Die Erkrankung verläuft meist in Schüben: Symptome treten plötzlich auf und bilden sich meist über Wochen teilweise oder vollständig wieder zurück. Nach Jahren kann dies in einen chronisch fortschreitenden Prozess übergehen (sekundäre Progredienz). Eine Sonderform ist die primär progrediente MS, wo es von Beginn an zu einer schleichenden Verschlechterung kommt.

Es gibt also zwei Mechanismen bei der MS: die Entzündung und den Zelluntergang. Bei Schüben steht mehr der Entzündungsprozess, bei der Progredienz mehr der Zelluntergang im Vordergrund.


Wie häufig ist MS?

Die MS tritt geografisch stark unterschiedlich verteilt auf. Am häufigsten ist sie in Nordeuropa und auf den Britischen Inseln, selten in China, Japan und Schwarzafrika. Weltweit gibt es etwa 2,5 Millionen MS-betroffene, davon etwa 150.000 in Deutschland. In Berlin sind grob geschätzt 7.500 Menschen an MS erkrankt.

Frauen sind 3x häufiger betroffen als Männer. Der Erkrankungsbeginn liegt meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr.

Wie kann die MS verlaufen?

Der Verlauf einer MS ist individuell und schwer vorhersagbar.

Wir unterscheiden folgende Formen:

  • Klinisch isoliertes Syndrom (KIS oder CIS): Damit ist eine erste, MS-verdächtige Episode gemeint. Die Kriterien dafür sind in den letzten Jahren mehrfach überarbeitet worden, aktuell (Juni 2019) gelten die McDonald Kriterien von 2017. Bei der CIS-Diagnose darf mit manchen MS-Medikamenten bereits behandelt werden, um den Übergang in eine MS hinauszuzögern.
  • Schubförmige Multiple Sklerose (RMS oder RRMS): Dies ist die weitaus häufigste MS-Form. Sie ist gekennzeichnet durch Schübe, die sich vollständig oder unvollständig zurückbilden können. Ein Schub ist definiert als neues oder verstärkt auftretendes, mit der MS zusammenhängendes Symptom, das mindestens 24 Stunden anhält. Ein zweiter Schub mit gleicher Symptomatik kann frühestens nach 30 Tagen abgegrenzt werden. Auch abzugrenzen sind „Pseudoschübe“. Das sind neurologische Verschlechterungen in Zusammenhang mit Erschöpfung, Temperaturerhöhung (Fieber, heiße Witterung, heiße Bäder) oder Infekten.
  • Schübe treten gehäuft im Frühjahr, Herbst und nach Infekten auf.
  • Sekundär progrediente Multiple Sklerose (SPMS): Ohne Behandlung kommt es bei ca. der Hälfte der RRMS-Patienten nach 10 bis 15 Jahren zu einem schleichenden Fortschreiten von Behinderung. Die Anzahl der Schübe nimmt langsam ab und wird ersetzt durch einen über Jahre zunehmenden Funktionsverlust. Auch hier ist der individuelle Verlauf sehr unterschiedlich.
  • Primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS): Diese Form betrifft ca. 10 % der MS-Patienten. Im Gegensatz zur schubförmigen MS erkranken Männer gleich häufig wie Frauen, der Altersgipfel bei Erkrankung liegt höher (30. – 50. Lebensjahr) und in den meisten Fällen ist das Kardinalsymptom die fortschreitende Gangstörung. Da bei dieser MS-Form mehr der Nervenzelluntergang (Degeneration) und nicht die Entzündung im Vordergrund steht, unterscheiden sich auch die Behandlungsmöglichkeiten.

Welche Symptome hat die MS?

Die MS ist eine ausgesprochen vielfältige Erkrankung, ein echtes „Chamäleon“ in der Neurologie. Vor Selbstdiagnosen wird gewarnt!

Häufige Symptome zu Erkrankungsbeginn sind:

  • Gangstörungen, Beinschwäche, Gangunsicherheit, Spastik
  • Kraftverlust in den Händen
  • Taubheitsgefühle, besonders gürtelförmig oder große Teile der Extremitäten
  • Doppelbilder
  • Sehschwäche, ein- oder beidseitig
  • Blasenstörungen

Auch eine abnorme Ermüdbarkeit, spezielle Schmerzsyndrome, Sprech- und Schluckstörungen, sexuelle Funktionsstörungen oder Gedächtnisstörungen sind häufig, jedoch meist in Verbindung mit anderen Symptomen oder bei fortgeschrittener Erkrankung.

Wodurch wird MS verursacht?

Die Ursache der MS ist nicht bekannt. Folgendes weiß man:

  • Es muss eine genetische Veranlagung vorhanden sein, um an MS zu erkranken. Es ist bekannt, dass mehrere, überwiegend HLA-assoziierte Gene mit MS genetisch verknüpft sind.
  • Es sind überwiegend Menschen kaukasischer, insbesondere nordeuropäischer Abstammung betroffen.
  • MS ist keine Erbkrankheit. Allerdings ist das Risiko für Kinder, Eltern und Geschwister von MS-Patienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung 10 bis 20-fach erhöht (2 % im Vergleich zu 0,1 %). Bei eineiigen Zwillingen steigt das Risiko auf 30 % für den gesunden Zwilling.
  • Für Menschen, die vor dem 15. Lebensjahr aus Gegenden mit niedrigem MS-Risiko in Risikogebiete auswandern, steigt das MS-Risiko. Umgekehrt sinkt das Risiko z. B. für Nordeuropäer, wenn sie vor dem 15 Lebensjahr z. B. in Äquatornähe auswandern. Wahrscheinlich spielt der Vitamin D-Spiegel hier eine entscheidende Rolle.
  • Vitamin D-Mangel bei der Mutter in der Schwangerschaft erhöht das Risiko für das Kind, an MS zu erkranken.
  • Rauchen erhöht das Risiko, an MS zu erkranken.
  • Dem Ebstein-Barr-Virus – Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers – wird eine mögliche Rolle in der Krankheitsentstehung zugeschrieben.

Wie wird MS diagnostiziert?

Es gibt keinen einzelnen Test, mit dem man MS nachweisen kann. Für die Diagnose benötigt man:

  • eine körperliche neurologische Untersuchung
  • Kernspintomografie von Kopf und Rückenmark
  • Blutuntersuchung, besonders zum Ausschluss anderer Erkrankungen
  • eine Untersuchung des Nervenwassers (Lumbalpunktion)
  • evozierte Potentiale (Funktionsuntersuchung des Nervensystems)

Die Diagnostik kann ambulant, z.B. in einer MS-Schwerpunktpraxis oder stationär in einer neurologischen Klinik durchgeführt werden.


Welche diagnostischen Kriterien gibt es?

Eine gesicherte MS liegt vor, wenn zeitlich und räumlich getrennt mindestens zwei Schübe und mindestens zwei MRT-Läsionen objektiv nachgewiesen sind. Die Befunde dürfen nicht durch eine andere Erkrankung erklärbar sein.

Das heißt, die Schübe müssen zu unterschiedlicher Zeit an unterschiedlichen Orten des Gehirns nachgewiesen werden, entweder durch neurologische Ausfälle, das MRT oder Nachweis einer Entzündung im Nervenwasser. Anstelle des zweiten Schubes kann auch eine zweite, neu aufgetretene Läsion im MRT oder der Nachweis einer Entzündungsreaktion im Nervenwasser (isoliert oligoklonale Banden im Liquor) herangezogen werden.

Die aktuell gültigen Kriterien sind die McDonald-Kriterien in der Revision von 2017. Für die primär progrediente MS gibt es gesonderte Kriterien.

Schweregrad der Beeinträchtigung

Für die Bestimmung des Schweregrads der Behinderung bei MS benutzt der Neurologe die EDSS-Skala (expanded disability severity score). Ab Grad 4,0 besteht eine relevante Gehbehinderung.

Es werden insgesamt 8 Funktionssysteme untersucht und aus den bestimmten Einzelwerten ein Gesamtwert errechnet:

  • Optisches System
  • Hirnstamm
  • Motorik
  • Sensorik
  • Gleichgewicht
  • Vegetativum (Blase, Darm, Sexualfunktion)
  • Kognition und Fatigue
  • Gehfähigkeit

MS: Behandlung und Therapie

Die MS ist nicht heilbar – aber behandelbar. Dem Neurologen steht dafür ein 3-stufiges Therapiemodell zur Verfügung:

  • Die Behandlung des akuten Schubes
  • Die verlaufsbeeinflussende Behandlung (Immunmodulation)
  • Die symptomatische Therapie

Schubbehandlung bei MS

Die Behandlung des akuten MS-Schubes erfolgt mit Kortisonpräparaten (Steroiden), üblicherweise als Infusion. Dies ist ambulant möglich. Die Symptome bilden sich dadurch schneller und vollständiger zurück. Falls nach der Kortisonbehandlung weiter Beschwerden bestehen, kann auch eine Blutwäsche (Plasmapherese) durchgeführt werden. Dazu ist eine Krankenhausaufnahme erforderlich.

Immunmodulation

Noch in den 80er Jahren war die MS eine weitgehend unbehandelbare Erkrankung. Ende der 90er Jahre wurde Betaferon als erstes verlaufsbeeinflussendes Medikament zur MS-Behandlung zugelassen, was einen Durchbruch darstellte. Seitdem hat sich das Portfolio zugelassener MS-Medikamente stetig erweitert, so dass aktuell (Juni 2019) 16 verschiedene Medikamente zu Verfügung stehen.

Es gibt Behandlungen, die selbst injiziert werden müssen (injectables), Medikamente in Tablettenform und Medikamente, die als Infusion gegeben werden müssen.

Grob unterscheidet man zwischen Behandlungen für eher leichte MS-Formen (first line) und Behandlungen für aggressivere Verläufe (second line).

Die Entscheidung, welches Medikament in Frage kommt, ist komplex und hängt von vielen Faktoren wie Schweregrad der MS, Begleiterkrankungen, Lebensumständen, Familienplanung und Unverträglichkeiten ab.

Eine aktuelle Übersicht bietet https://www.kompetenznetz-multiplesklerose.de

Symptomatische Behandlung

Darunter versteht man die Behandlung von Einschränkungen, die als Folge von MS-Schüben fortbestehen. Dies können Gangstörungen, Spastik, Schmerzen, motorische Einschränkungen, psychische Symptome, abnorme Ermüdbarkeit, Blasenstörungen oder sexuelle Funktionsstörungen sein. Die Behandlung erfolgt individuell mit Heilmitteln (Krankengymnastik, Ergotherapie oder Logopädie), mit Psychotherapie oder mit Medikamenten.

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